Es ist Donnerstag Abend. Der Donnerstag bevor ich am Freitag nach Berlin fliege um dort am Sonntag meinen ersten Marathon zu laufen. Es ist der Donnerstag Abend an dem ich die letzten 30 Trainingsminuten absolviert habe und lieber meinen Rucksack fertig packen sollte anstatt diese Zeilen hier zu schreiben. Doch – so viel geht mir gerade durch den Kopf. Da gibt es die guten Gedanken rund um die Vorfreude auf Berlin selbst, den Lauf und daran dass es nun bitte endlich losgehen mag. Dazwischen auch immer wieder Organisatorisches. Habe ich alle Dokumente um meine Startunterlagen zu bekommen?
War der Check-In von heute morgen für den Flug erfolgreich? Ist mein Personalausweis eigentlich in meinem Geldbeutel? Macht es Sinn das Ladegerät für die Pulsuhr mitzunehmen oder ist es ausreichend sie heute nochmal zu laden? Brooks oder Saucony? Hoodie oder Sweater? Trinksystem ja oder nein? Fragen über Fragen. Bin ich gerade panisch? Ist das diese Aufregung nach der mich alle fragen? Hinzukommen die Worte unseres Büro-Ironmans von heute Nachmittag: „Der erste Marathon ist immer eine Lehre“ und natürlich die vielen guten Wünsche und lieben Worte welche mich heute per Whats App oder Telefon erreicht haben.
Als ich von der Arbeit nach Hause komme schlüpfe ich sofort in meine Laufklamotten, denke nicht über die passende Hose oder ein fancy Laufoberteil nach, lege meine Pulsuhr um. Handy, Zopf, Schuhe, Schlüssel. Start. 30 Minuten langsamer Dauerlauf. Kein Trinksystem, kein Abholservice. Nur laufen – just running. 30 Minuten. Die Strecke? Egal. Kurz über die Felder, nichts Spannendes. Noch bevor ich die Wohnungstür schließe, merke ich, dass heute etwas anders ist. Ehe Ich die ersten Schritte mache weiß ich alles über den heutigen Lauf. Er erscheint klar vor mir. Nach fünf Schritten wird mir klar, dass heute alles so ist, wie es sein sollte, dass es gar nicht heute ist wo etwas anders ist, sondern dass es eher die letzten drei Wochen waren, die anders waren.
Die vergangen Läufe startete ich stets mit Unbehagen, Respekt vor der Strecke ja vielleicht auch mit Zweifel. Vor nahezu jedem Lauf hatte ich ein ungutes Gefühl, war nervös und unsicher. Auf einmal waren zehn Kilometer eine riesen Hürde, 70 Minuten plötzlich unwahrscheinlich lange. Leichtigkeit? Nicht vorhanden. Obwohl ich schon unzählige Male zehn Kilometer gelaufen bin, war es in meinem Kopf von jetzt auf gleich keine Selbstverständlichkeit mehr, dass ich das ohne Weiteres schaffen könnte. Natürlich habe ich jedes mal die geforderte Zeit oder Distanz geschafft. Doch es war eher immer nur „so naja“ vom Gefühl. Kein Kracher. Nix Besonderes. Es musste halt gemacht werden.
Doch heute, nach zwei Wochen aktiver Regeneration und reduziertem Trainingsumfang starte ich den Lauf mit einem Gefühl welches ich schon lange nicht mehr verspürt habe, echte Freude. Mir wird klar, dass ich die letzten Wochen sehr wohl auf mein Ziel fokussiert war, was natürlich gut ist, doch, der Spaß und der originäre Grund warum ich laufe, überhaupt nicht mehr relevant war. Es ging nur noch darum einen imaginären Haken im Trainingsplan zu setzten, Wochenkilometer klarzumachen, nicht krank zu werden oder mich zu verletzen. Umso schöner ist es jetzt, beflügelt in den Abend hineinzulaufen. Es entsteht der Eindruck, als bringe mir dieser kurze Lauf heute mehr Selbstvertrauen und mentale Stärke als die ein oder andere Einheit der letzten Wochen. Das „yay“ ist zurück. Ihr Läufer, ihr versteht schon was ich meine…
Schon während der ersten Minuten erfahre ich eine unheimliche Bestätigung dessen, dass ich genau jetzt das richtige tue. Es ist jetzt richtig zu laufen, jetzt ist der Zeitpunkt. Der Zeitpunkt für Großes ist da. Alles ist gut und wird noch besser. Ich kann zehn Kilometer laufen, ich kann 20 Kilometer laufen und ich kann erst recht auch 42,195 Kilometer laufen. Nirgendwo sehe ich Zweifel, verspüre kein Unbehagen wenn ich an die Distanz denke. Meine Füße, mein Herz und mein Verstand sind sich einig: Ich schaffe das!
Unzählige male wurde ich in den letzten Wochen gefragt ob ich nervös oder schon aufgeregt bin. Bis jetzt habe ich keine richtige Antwort darauf, außer: Vorfreude. Ich freue mich so unwahrscheinlich auf diesen Lauf am Sonntag. Mein Herz hüpft bei dem Gedanken daran durch eine spätsommerliche, sonnige Hauptstadt zu laufen, zu schwitzen, zu lachen, zu kämpfen, mit anderen Läufern dieses Erlebnis zu teilen, die vielen Zuschauer an der Strecke zu erleben, durch Klatschen, Musik, Jubel und Beats durch die Straßen getragen zu werden, mich durchzubeißen, bis ans Ende, bis ans Brandenburger Tor.
Ich will nicht mehr warten sondern starten, ich will meine Laufschuhe schnüren und endlich das tun worauf ich so lange hinarbeite. Ich will laufen, durch die Straßen und die Gassen, über die Plätze und Brücken durch diese wunderbare Stadt, will mich durchbeißen und genießen, will feiern und soviel mitnehmen wie nur geht. Ich will die Atmosphäre aufsaugen, die vielen Eindrücke einpacken und ich will Spaß haben, Freude erleben mich frei und leicht fühlen, so wie in den 30 Minuten heute. #läuft